Was mögen Chinesen an Deutschland? (für Conny) | Update

Hallo Catrin, da Du so nett warst und mir meine Frage mit dem Flugreifen schnell und unkompliziert beantwortet hast, will ich Deine Freundlichkeit gleich noch einmal ausnutzen. Ich gehöre auch zur „Schreibenden Zunft“ und befasse mich dabei mit eher unterhaltenden Romanen. Vor kurzem bin ich auf die (frag mich nicht wie) Idee gekommen, der Protagonistin in meinem neuen Buch einen chinesischen (oder halbchinesischen) Partner zur Seite zu stellen. Das wird erst ziemlich am Ende passieren, denn ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und lauter Unsinn schreiben. Trotzdem frage ich mich: Was könnte ein Mensch, der in China geboren ist, an unserem Land gut finden? Kannst Du mir da einige Tipps geben? Ich erwähne Dich auch gerne im Nachwort. (Und wenn ich extra eines für Dich schreiben muss) 🙂 Dann wäre für mich noch interessant: Bei uns gibt es Sinologen. Kann man in China was über Europa studieren? Sorry für die komischen Fragen und viele Grüße aus der Prignitz Conny

Hallo Conny,
das ist ein spannend-ausdauerndes Projekt, das du da verfolgst und zu dem ich dir viel Erfolg wünsche. Was soll ich sagen, wer bekommt schon ein eigenes Nachwort. 😉  … Los geht’s mit dem, was ich in den letzten Jahren mit der eigenen Familie erfahren habe. Was mag Herr P. an den Deutschen? Er bewundert, wie viele seiner Freunde, an ihnen das Präzise, das Gründliche und erzählt dazu gern eine kleine Geschichte:

„Geht eine Nadel im Heuhaufen verloren. … Alle anderen Nationen wühlen in dem Haufen los, in der Hoffnung, die Nadel taucht schon irgendwo wieder auf. Das Ergebnis ist offen. Der Deutsche teilt den Heuhaufen in kleine Parzellen auf und arbeitet die dann akribisch nach und nach ab. Der Erfolg ist garantiert, denn früher oder später stößt er so auf die Nadel.“

Das sagt alles, findet er. Ist er deshalb nach Deutschland gekommen? Bestimmt, aber nicht nur. Er wollte promovieren und Segelfliegen lernen. Deutschland, das Land der Segelflieger, dazu gab es im chinesischen Fernsehen eine Dokumentation. … Doch nicht nur über’s Segelfliegen in Deutschland weiß Herr P. etwas zu berichten, er kennt sie alle: Goethe und Schiller, Marx und Engels sowieso, aber auch Kant und auch die Musik-Klassiker von Mozart bis Beethoven. Vieles hat er als Kind und Jugendlicher selbst gelesen. In China kann man Germanistik studieren, eine Verwandte aus Shanghai tat das bereits Mitte/Ende der 1980iger Jahre.

Altstadt von Xingping: Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao

Man kann die Frage umdrehen. Was wissen wir Deutschen abseits der Klischees über die chinesische Kultur? Als Kind habe ich ‚Das eiserne Büffelchen‘ von Alex Wedding gelesen. Damals fand ich das Buch toll und habe begeistert die chinesischen Schriftzeichen im Anhang nachgemalt. Mit dem heutigen Wissen um Mao, die Kulturrevolution und diverse Kampagnen sehe ich alles etwas anders, nun ist das Werk ein Stück Zeitgeschichte. Mehr kann ich zum Thema kaum beitragen, im Gegensatz zu den Chinesen, die nur Positives berichten.

Das Land der Tugend

Dé guó – Deutschland heißt auf Chinesisch: das Land der Tugend oder Moral. Es besitzt einen guten Ruf. Die Chinesen schreiben den Deutschen Eigenschaften wie Aufrichtigkeit, Anstand, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit zu.

Dé guó, 德国

(Dé – Moral, Guó – Land)

Zudem gelten die Deutschen als tiefgründig, gebildet und intelligent, wohl weil wir viele berühmte Dichter, Denker und Naturwissenschaftler hervor gebracht haben.

Das Land der Dichter und Komponisten

Dichter, vor allem Philosophen wie Kant, Hegel oder, klar, Marx sind vielen Menschen in China ein Begriff. Einmal nach Trier – das ist ihr Kindheitstraum. Ein chinesischer Professor erforscht an der dortigen Uni sogar das Pilger-Verhalten seiner Landsleute und hat u. a. herausgefunden: „Die Chinesen sind deutlich lockerer und nachdenklicher geworden.“*¹ Hinzu kommen berühmte Naturwissenschaftler wie Einstein oder Humboldt.

Krabben-Treffen – mit deutschen, vor allem chinesischen Freunden

Man muss wissen, viele Chinesen sind verrückt nach klassischer Musik. Der Vater von Herrn P. besaß ein altes Grammophon, das bei Bedarf unter dem Bett hervorgezogen wurde. Alles Klassikplatten, versteht sich, die während der Kulturrevolution geschreddert wurden. Mittlerweile hat sich die Liebe der Chinesen zur Klassik landesweit ausgebreitet, selbst in den Provinzhauptstädten sind in den letzten Jahren hervorragende Konzertsäle entstanden. Wer kann, lässt sein Kind ein westliches Instrument lernen, bevorzugt Klavier oder Geige. Sogar an die Orgel wagen sich neuerdings junge Musiker, die im Juli 2018 nicht nur in Werder (Havel) die traditionelle Orgelbau-Firma von Alexander Schuke besuchen wollen, sondern auch in verschiedenen deutschen Städten Konzerte geben werden. Ein Chinese aus Shanghai, der bei einem unserer Krabben-Treffen unser Gast war, reist gern regelmäßig nach Berlin, um den klassischen Inszenierungen im Konzerthaus und im Französischen Dom am Gendarmen-Markt zu lauschen. Herr P. arbeitet auf Wagners ‚Der Ring des Nibelungen‘ hin, andere Berliner Chinesen betreiben einen musikalischen Salon ⇒ Konzert im China-Restaurant. Weil Deutschland mit Beethoven, Bach, Richard Strauss und Co einige der größten Komponisten aller Zeiten hervorbrachte, bewundern die Chinesen die Deutschen für ihre Musiker. Beliebt sind aber auch bildende Künstler wie Dürer.

Das Land der Erfinder

Und dann wäre da noch die deutsche Technik. Das Präzise. Das Funktionale. Der Ruf, unkaputtbare Produkte und diese von bestechender Qualität zu produzieren. Wer je ein Gastgeschenk für einen Besuch in China gesucht hat, nur zu. Süßes, Kosmetik oder technische Geräte, alles gern, aber bitte ‚Made in Germany‘. Wie sehr sie aus den oben genannten Gründen auf deutsche Autos stehen, das haben wir hier kürzlich mit einer anderen Anfrage beleuchtet.

Umso irritierter schauen sie mitunter, wenn sich die überaus positiven Vorstellungen über unser Land vor Ort als Klischees entpuppen: wie etwa die auf vielen Strecken völlig herunter gekommene S-Bahn in Berlin, ruppige Verkäuferinnen, verspätete Züge, die Totenstille in mancher Innenstadt bei einbrechendem Abend. … Sie registrieren auch mit großer Verwunderung, mit welcher Hingabe die Deutschen ihre Hunde und Katzen betüdeln, während das öffentliche Leben oft ohne Kinder stattfindet. Dabei konnte ich feststellen, dass in den Großstädten im Osten des Landes, auch die Chinesen auf den Hund gekommen sind und liebevoll mit ihren Tieren umgehen.

Auf den Hund gekommen:

Schuld anerkennen

Etwas, das die Chinesen uns Deutschen hoch anrechnen, hat viel mit ihrer eigenen Geschichte und mit Japan zu tun. Für die Chinesen zeugt es von Größe, dass sich Deutschland schuldbewusst zur NS-Zeit bekennt, Verbrechen aufgeklärt und Opfer entschädigt. Bis heute hat sich Japan selten klar für seine Kriegsverbrechen wie das Massaker in Nanjing und anderswo im Reich der Mitte bekannt oder gar entschuldigt. Bis heute erschwert dieses Schweigen das Aussöhnen beider Länder. Wir haben in unserem Freundeskreis eine japanische Musikerin, die Herr P. sehr mag. Die japanischen Teetassen, die ich einst besaß, stehen jetzt allerdings in der Teeküche meines Arbeitgebers.

Ich bin in diesem Jahr noch in China und treffe demnächst auch chinesische Freunde in Berlin … das sieht nach einem Update für dich und andere Interessierte aus.

Jetzt aber, das Update

Ein wenig Neues konnte ich noch ermitteln. Ich habe chinesische Freunde befragt, die jetzt in Berlin leben, warum sie seinerzeit Deutschland favorisiert haben. Die Antwort ist verblüffend und einleuchtend zugleich. Während Herr P. an der Fudan-Universität (Sinngemäß: Aufgehende Sonne, Uni-Ranking, Nr. 1 der Rangliste der Shanghaier Unis) studiert hat und die bereits oben erwähnten Gründe für Deutschland sprachen, sind zwei seiner Freunde in Deutschland gelandet, weil sie seinerzeit an der einzigen Universität in Shanghai studierten, die auch Deutsch gelehrt hat.

Man muss wissen, dass ein Deutscher die ‚Tongji-Universität‘ (Gemeinsam in einem Boot den Fluss überqueren, siehe auch das Tongji-Logo, Uni-Ranking, Nr. 3 der Rangliste der Shanghaier Unis) gegründet hat, ein Arzt. Wobei sie 1907 als „Deutsche Medizin- und Ingenieurschule für Chinesen“ an den Start ging und erst ein paar Jahre später den Status einer Universität erhielt. Da kannst du bei Bedarf ausreichend Hintergrundwissen im Internet recherchieren.

Ortswechsel nach Suzhou, China:

Dort lebt ein Teil unserer Verwandschaft, u.a. ein junger Mann, der sich, für Technik und Maschinenbau interessiert. Das Präzise und Genaue, das hält sich offensichtlich bis heute. Nach je zwei Studienjahren in Italien und den USA wird er im Sommer 2019 für ein Jahr nach Deutschland kommen. Wohin genau? Die Fakultät Maschinenwesen der Technischen Universität München zählt zu den erfolgreichsten Maschinenbau-Fakultäten weltweit. … .

Liebe Grüße,
hoffentlich noch rechtzeitig & Viel Erfolg für deinen Roman.  🙂

Quellen & weiterführender Lesestoff:
*¹ – Tagesspiegel: Chinesische Besucher in Trier – Inneres Zwiegespräch im Karl-Marx-Haus vom 28.02.2018
*² – Märkische Allgemeine Zeitung vom 04.07.2018: Orchester aus China besucht Schuke
Deutschlandfunk: Lang Langs Erben vom 23.03.2015
DW: Warum Chinesen das Bundesjugendorchester lieben vom 27.07.2015

7 thoughts on “Was mögen Chinesen an Deutschland? (für Conny) | Update”

  1. Hallo Yùnzhi,
    bin jetzt endlich fast fertig mit meiner Geschichte, in der ein „halber Chinese“ vorkommt. Sicherheitshalber habe ich ihn in Deutschland aufwachsen lassen und eine deutsche Mutter gegeben. Ich will ja nicht zu viel Unsinn verzapfen, weil ich mir eine Figur ausgedacht habe, ohne ein echtes Vorbild zu haben. Meine Frage (zu Sicherheit noch einmal) Darf ich Herrn P.s „Nadel im Heuhaufen“-Geschichte wortwörtlich verwenden? ich finde sie einfach toll. Er kommt dann auch mit ins Vorwort bzw. auf die „Mein Dank an … „-Seite. Und du bekommst natürlich ein Buch geschenkt. Auch wenn Liebesromane vielleicht nicht deine bevorzugte Literaturrichtung sind. 🙂 Grüße aus der Prignitz

    1. Guten Abend Conny,
      ahhh, es wird ernst. 🙂 Du kannst die Nadel-im-Heuhaufen-Geschichte gern verwenden, auch wortwörtlich. Was soll ich sagen, Herr P. amüsiert sich.
      Viel Erfolg für dein Buch,
      herzlichst
      Yùnzhi – Catrin

      PS: Freue mich auf dein Buch.

  2. Danke. Das war sehr ausführlich und total interessant zu lesen. Da kann ich vieles davon mit in meine Story einbauen. Du bist eine echte Hilfe – und die Sache mit dem Nachwort steht! Falls Dir noch etwas einfaällt, immer her damit, noch ist meine Geschichte nicht ganz fertig.

    谢谢
    Conny

    1. Freut mich, kannst du gern alles für deinen Roman nutzen. Sind natürlich meine sehr persönlichen Erfahrungen, das kann drei Familien-und-Freundes-Ecken weiter schon wieder komplett anders sein.
      Herzlichen Gruß, bis zum Update
      Catrin

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