Auf unserer Reise auf dem Yangtse haben wir sie gesehen, die neu erbauten Städte. Am Flussufer thronen gigantische Wohntürme, aber es sind auch behagliche Stadtteile entstanden. Zu unserer Verwunderung finden wir ausgerechnet diese Ecken verlassen vor, vermutlich ist nie jemand hier eingezogen; wie in jenem kleinen Ort zwischen den Städten Zhongxian und Wanxian. Auf dem Weg zur ‚Roten Pagode‘ strömen täglich Hunderte Touristen durch das kleine Städtchen mit seinen Souvenirständen, geblieben sind die Menschen dennoch nicht, fünf von sechs sind aufgebrochen, ihr Glück in einer der Metropolen zu suchen. Landflucht.
Eigenartig, möchte man meinen, denn in den Millionenstädten ist oft kein Platz für Nostalgie. Oder ist das so nicht richtig? Ein junger Mann deutet an, warum die ehemaligen Bewohner ihre alte Heimat verlassen haben: bessere Arbeit, besseres Geld, bessere Infrastruktur und bessere Möglichkeiten für die Kinder, um zu studieren. Bildung ist ein hohes Gut in China. Die Hingabe zum Lernen, die Liebe und Fürsorglichkeit für den Nachwuchs und das Begreifen und Ergreifen der Chance auf eine bessere Zukunft treiben die Menschen an.
Bessere Arbeit, besseres Geld – doch Chinas Verstädterung ist alles andere als das wirre Resultat der Nachfrage nach einem besseren Dasein, denn nicht nur am Yangtse werden wegen des Staudamms in einem urbanisierendem Geschwindigkeitsrausch unvorstellbare Mengen Beton verbaut. Der Ausbau der Städte folgt einem Plan. Nach dem Wunsch der Regierung sollen in den kommenden zwei Jahrzehnten jährlich zwischen 10 und 20 Millionen Menschen vom Dorf in die Stadt ziehen, eine Völkerwanderung gigantischen Ausmaßes. Es ist, als würde jährlich die Bevölkerung Australiens umsiedeln.
Diese Verwaltungsreform ändert auch das Leben vieler Bauern, die, wie im Fall des boomenden Chongqing mit seinen 32 Millionen Bewohnern, erstmals ungehindert ins Stadtzentrum ziehen können. Ungehindert deshalb, weil das aus der Mao-Zeit stammende „Hùkǒu-System“ (= Wohnsitz-Melderegister – 户口) jedem Bürger einen festen Wohnort zuordnet, den dieser nur in Ausnahmesituationen wechseln kann. Opfer dieser bürokratischen Fessel sind vor allem die über 200 Mio. Wanderarbeiter, die bis heute von vielen Dienstleistungsangeboten ausgeschlossen sind, weil sie illegal unterwegs sind.
Laut Statistik lebten 2013 rund 53,1 Prozent der Gesamtbevölkerung Chinas in Städten (Deutschland 74.89 %). Zehn Jahre zuvor waren es rund 39,9 Prozent. Was die physische Infrastruktur betrifft, investiert China gezielt in Wachstumsregionen im Binnenland und deren Vernetzung mit den drei boomenden Metropolen im Osten des Landes, Shanghai, Peking und Hongkong: Autobahnen, Schnellzugtrassen, … . Wie wird es sein, wenn am Ende der Mission 200 Millionen Chinesen vom Land in die Stadt gezogen sein werden, wird es Fortschritt oder das Ende lokaler Traditionen sein?
Auf dem Land …
Einige Dörfer profitieren vom Tourismus. Der Staat unterstützt die Reisbauern finanziell, damit sie weiterhin den anstrengenden Reisanbau betreiben. Auch die ärmeren Dörfer, durch die wir wanderten, wollen an dem zunehmenden Wohlstand teilhaben.
Quellen:
statistica.com: Urbanisierung in China | abgerufen am 15.11.2014
china-observer: Urbanisierung in China. Erfolge und Niederlagen, 07.12.2013 | abgerufen am 16.11.2014