Traditionelle chinesische Hochzeit, wie findet sie statt? Ist es unhöflich mit den Brauteltern über die Kosten der Hochzeit zu verhandeln? Benötige ich Geschenke, wenn ja für wen? Muss jemand von uns eine Tischrede halten? … Anfang März hat Ella hier jede Menge » Fragen zur Hochzeit ihres Sohnes mit einer Chinesin gestellt. Jetzt radelt die Brandenburgerin mit ihrem Mann dem Ereignis in Ürümqi entgegen, erst einmal in entgegen gesetzter Richtung, und lässt uns einen Monat lang an ihrem Abenteuer teilhaben.
Ella schreibt:
Gestern fuhren wir von Xin shui zhen nach Tiangpen Town, Pengzhou City. Das ist schon eine grössere Stadt, mit Hochhäusern und geschäftigem Treiben. Unterwegs haben wir oft Rast gemacht und fotografiert. Überall gibt es hier Pilzfarmen mit den typischen Muerr Pilzen. Das sind diese langohrigen, labbrig-knorpeligen, schwarzen Bestandteile, die selbst beim „Pseudochinesen“ in Deutschland verwendet werden. Pseudo deshalb, weil das Essen beim Chinesen in Deutschland eigentlich gar nichts mit dem zu tun hat, was man hier isst. Es wurde an den europäischen Gaumen „angepasst“ und ist überhaupt nicht mehr authentisch. Auch aus diesem Grund freuen wir uns immer auf eine Reise nach China. Diese Pilze also werden hier gezüchtet, in grossen schwarzen Zelten wachsen sie auf Regalen voller in Folie eingeschlagener Substratrollen, werden später abgeschnitten und zum Trocknen überall am Strassenrand ausgelegt, ab und zu gewendet und zerkleinert. Der typische würzige Geruch hängt in der Luft.
Ausserdem sahen wir Lotusfelder. Sie fangen gerade an, die ersten Knospen zu zeigen, sehen sehr dekorativ aus und die Wurzel ist ein wichtiger Bestandteil der Küche hier. Wir geniessen es immer von der Hauptstrasse abbiegen und über die kleinen Dörfer fahren zu können, denn dort findet das Leben statt und dort wird die Arbeit gemacht. Dort kennen sich die Menschen, weil sie zusammen arbeiten und leben. Und dort sitzen sie in den Pausen zusammen, unterhalten sich, schlürfen ihren heissen grünen Tee, schlafen oder spielen.
Kurz vor der Stadteinfahrt waren rechts und links der Strasse, im Abstand von vielleicht 20 m kleine Stände aufgebaut, die alle selbst gezogene Melone anboten. So rollten wir also nach Tiangpen und suchten uns ein Hotel. Gleich das erste, welches wir fanden, warb draussen mit dem Schild: No Minors allowed!*¹ Wir gingen fragen, was das heissen sollte und erfuhren, dass Ausländer zu den Minors gezählt und damit dort nicht zugelassen werden. Da kann man nichts machen. Auch das ist China. Wir sausten eine breite Strasse hinunter auf ein grosses Haus mit den Lettern für Hotel zu, buchten dort, erhielten ein Zimmer im 11. Stock mit ordentlicher Dusche und gingen bummeln. Abends geht auf dem grossen Platz vor dem Hotel die übliche Zusammenkunft los. Mindestens 10 verschiedene Tanzgruppen haben wir gezählt. Dazwischen ältere Herren mit grossen und kleinen Kreiseln, die mit ihren Peitschen laut knallen. Für die Kinder fahren kleine Elektroautos, es spielt überall eine andere Musik, Naschwerk und bunte Luftballons werden angeboten. Wir schauen dem Treiben immer gerne zu, denn wenn mam sich einmal an den Geräuschpegel gewöhnt hat, macht es viel Spass zu sehen, wie sich die Leute fit halten und wie unaufgeregt und harmonisch das Ganze abläuft.
Qing cheng shan heisst unser heutiges Etappenziel, bekannt als Zentrum des Daoismus, mit seinem heiligen Qing-Cheng-Berg, einem der heiligsten Berge Chinas, gehörend zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Ausfahrt aus Tiangpen Town dauerte etwas und war absolut chaotisch, weil die Strassen total verstopft und voller Menschen waren. Liegt es daran, dass heute Kindertag ist? Dann aber kamen wir flott voran und verfuhren uns gleich 2x. Einmal davon absichtlich. Die Strasse, auf der Karte durchgehend eingezeichnet, war plötzlich durch eine Mauer gesperrt! Das dahinterliegende Dorf vollkommen ummauert. Durchfahrt nicht möglich. Als wir etwas ratlos beratschlagten was zu tun ist, beobachteten wir einen Mopedfahrer, der aussen herum über einen Schleichweg die Mauer passierte. Das können wir ja dann auch, dachten wir und machten uns auf in den Schleichweg. Als wir den passiert hatten, kamen wir in ein Dorf, welches keines mehr sein darf. Der grösste Teil der Häuser ist geschleift, abgerissen, zerstört. Der Rest steht leer. Hinter der Mauer erwartete uns ein Zivilist auf seinem Elektroroller, welcher uns begreiflich zu machen versuchte, dass wir dort nicht zu sein hätten. Da wir uns den Anschein gaben, ihn nicht zu verstehen, forderte er uns auf ihm genau zu zeigen, wohin wir wollten. Wir zeigten ihm auf der Karte, den Ort aus dem wir kamen. Daraufhin fotografierte er uns und tippte wild in sein Handy. In der Zwischenzeit fuhren wir durch das ehemalige Dorf und besichtigten die Überreste. Da das Dorf ummauert war, mussten wir es auch wieder auf einem Schleichweg verlassen, eskortiert vom Mopedfahrer, inzwischen mit Verstärkung. Argwöhnisch fuhr er noch mehrere Hundert Meter hinter uns her, um sicher zu gehen, dass wir auch verschwinden. In welches Wespennest haben wir da wohl gestochen? Hinterher haben wir uns dann in einem Baumschulendorf derart verfranzt, dass wir nur noch nach Gefühl fahren konnten, weil die Strässchen, auf welchen wir uns befanden gar nicht eingezeichnet waren. Zu allem Ungemach kam noch der Regen und so kamen wir nass und fröstelnd am Tagesziel an und suchten die vorab gebuchte Unterkunft. Wir hatten die Adresse auf Chinesisch und Englisch und fragten in einem Hotel. Die schickten uns quer die Haupstrasse hinunter. Dort fragten wir erneut und wurden in eine Nebenstrasse gelockt. Nachdem wir diese verlassen hatten, fragten wir wieder und wurden komplett zurückgeschickt. Es war zum verzweifeln. Ein älterer Herr schickte uns dann in eine Holzbearbeitungsfirma, diese zur Tankstelle und so fort. Endlich tauchte ein Nissan mit einem jungen Mann auf, der Englisch sprach! Heissa! Dieser bemühte seine Navigation und fuhr vor uns her und siehe da, genau auf der Rückseite des Hotels, in dem wir das erste Mal gefragt hatten, liegt unsere Unterkunft, bei einem sehr freundlichen und bemühten älterem Ehepaar.
Hanyuan County hiess der Ort mit den geschleiften Dörfern. Wir fanden einen Artikel, der sich auf Proteste gegen den Bau des Pubugou Staudammes bezog, aber der befindet sich im Südwesten von Chengdu, während wir im Norden dieses Grossraumes unterwegs sind. Vermutlich gibt es mehrere Orte mit diesem Namen? Das Gebiet des Staudammes wurde trotz der Proteste von mehr als 20.000 Dörflern planmässig geflutet. Dann können wir es ja nicht mehr aufsuchen. Vielleicht hatte das Dorf sympathisiert? Aber irgendwie verhaspeln wir uns mit den geographischen Gegebenheiten. Vielleicht weiss Herr P. mehr?*¹
Heute sind wir mal nicht Rad gefahren, sondern haben mit Hunderten von Chinesen den Quing-Shen Berg erkundet. Wir sind endloseTreppen hochgestiegen, haben geschnauft und geschwitzt und sind weiter gestiegen. Wir haben auf unserem Weg kleine und grosse daoistische Heiligtümer besucht. Wir haben einen Sessellift benutzt und sind noch weiter aufgestiegen. Das Wetter war warm, aber trübe. Die Berge oft in Nebel gehüllt, eine schöne Kulisse. An jedem Kloster gab es auch Stände mit Nudeln, oder scharfen Würstchen am Spiess und Obst zu kaufen. Wir hatten den Eindruck, dass viele Familien nicht vorrangig wegen des Glaubens hierhergekommen sind, sondern einfach um einen schönen Ausflug zu machen und Zeit mit der Familie zu verbringen. Schliesslich ist heute Samstag. Nach dem Abstieg sind wir mit dem Bus zurück in die Stadt gefahren und haben uns dick und rund gegessen. Den restlichen Tag vertrödeln wir in altbewährter Weise und werden uns morgen weier begeben.
Bei bedecktem Himmel radelten wir heute nach Qionglai, einer kleinen Stadt, mit schöner Altstadt. Die Strecke war flach und wir kamen gut voran. Den ersten Stop legten wir am Pandareservat ein, um uns das Treiben heute am Sonntag anzusehen. Die Zufahrt und der grosse Platz vor den Kassen war voller Menschen. Reiseleiter winkten mit ihren Fähnchen und riefen ihre Leute zusammen. Leider blieb uns nicht die Zeit uns anzustellen und das Reservat zu besuchen. Wir machten uns wieder auf den Weg und hielten zum zweiten Mal vor einer kleinen Garküche, weil wir, mangels Frühstück, inzwischen ordentlichen Hunger hatten. Die Küche hatte noch geschlossen, aber der Opa rief seinen Sohn vom Feld und ein paar Minuten später wurde Brühe gekocht und Gemüse geschwenkt. Eine solche Dienstleistung wäre in Deutschland undenkbar. Wenn die Gaststätte zu hat, hat sie zu. Basta. Hier kam noch die Oma und brachte Reis und der Sohn fragte uns ganz besorgt, ob wir denn auch mit den Stäbchen würden essen können! Da haben wir wieder eine wirklich nette Familie kennengelernt. Auf der weiteren Strecke trockneten immer wieder Räucherstäbchen am Strassenrand, die von Familien in unterschiedlichen Farben und Grössen hergestellt und verkauft werden. Am Ziel angelangt, durchfuhren wir die Neustadt und rollten in die Altstadt, um uns dort eine Unterkunft zu suchen. Die gibt es dort auch zu Hauf, jedoch nicht für Ausländer. Die müssen draussen bleiben und sich in der Neustadt einquartieren. Wir kehrten also um, fanden ein kleines Hotel mit sehr freundlichen und hilfsbereiten Angestellten. Da wir viele Taschen haben, kamen ein Wachmann und drei Hausdamen, um uns mit dem Gepäck zu helfen. Gerade auf dem Zimmer angelangt, fing es an zu regnen. Wir liehen uns einen Regenschirm und machten einen ausgiebigen und nassen Bummel durch die Altstadt!“
Pinglezhen
Qionglai machten wir uns auf nach Pingle, was kein weiter Weg ist. Wir verbrachten zwei Tage dort, besichtigten die wirklich sehenswerte Altstadt, marschierten über die lange Hängebrücke und gingen den Glasweg am Berg inmitten einer chinesischen Reisegruppe, welch mittels Megaphon zusammengehalten wurde. Heute fuhren wir den langen Weg nach Meishan, einer schon etwas grösseren Stadt, auf unserem Weg nach Leshan. Es wurde ein anstrengender Radeltag, bei 44 Grad Celsius, 2 steilen Pässen bei zum Teil sehr schlechten Strassen und vielen weiteren Anstiegen. Wir gehen nicht mal mehr Abendessen, weil wir vom vielen Trinken volle Bäuche haben. Heute wurden am Wegesrand kleine Früchte getrocknet. Sie sehen aus wie kleine Grapefruits, zumindest riechen sie so. Vielleicht sind es auch kleine Limetten. Wir haben sie schon des öfteren bei manchen Leuten im grünen Tee herumschwimmen sehen.“
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Nachlese mit Recherche:
*1 – … Für Ausländer besteht eine Meldepflicht bei der lokalen Polizei bei Aufenthalten über 24 Stunden an einem Ort, die Meldung muss innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Bei Übernachtung in einem Hotel übernimmt dieses die Meldung automatisch; ist man privat bei Freunden untergebracht, müssen diese die Meldung vornehmen. Ausländer, die dauerhaft in China leben, müssen stets einen Nachweis über ihre Meldebescheinigung bei sich führen.“, verkündet das Auswärtige Amt auf seiner Homepage. Heute lesen die Hotels die chinesischen IDs der Ausweise ein und registrieren ihre Gäste elektronisch via Internet. … Bis der erste internationale Tourist zur Tür herein spaziert. Denn unsere Pässe lassen sich mit dem System nicht einlesen. …
*² – Die Pubugou-Talsperre liegt am Fluss Dadu He, einem Zufluss des Jangtse in der Provinz Sichuan. Die Bauarbeiten begannen am 30. März 2004. Im selben Jahr kam es zu gewaltsamen Demonstrationen, die den Bau verzögerten. Der Artikel, den du ansprichst, stammt aus 2010 (Quelle: Violence erupts at Chinese dam eviction). Da arbeiteten die Generatoren bereits. Andere Talsperren in der Nähe sind im Bau und sollen 2018 ans Netz gehen, wie die Changheba-Talsperre und die Shuangjiangkou-Talsperre. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind umstritten, wie schon beim Drei-Schluchten-Staudamm am Yangtse.
Die Aktion zu bewerten, steht mir kaum zu, denke ich. Zum einen zu wenige differenzierte Quellen und zum anderen: Die Lausitz im Land Brandenburg mit ihren Kohlebergwerken sah auch wie eine Mondlandschaft aus und auch hier wurden Dörfer abgebaggert und die Menschen umgesiedelt. Alles im kleineren Maßstab, aber immerhin: Laut Wikipedia sind über 80 Orte und Gemeindeteile abgebrochen und über 30 teilweise verwüstet worden.
Zudem scheint es in China eine nicht geringe Anzahl an Menschen zu geben, die davon sprechen, mit ihrer Enteignung Glück gehabt zu haben. Gelesen habe ich davon in Deutschland nichts, vor Ort aber solche Menschen getroffen.
Pubugou-Talsperre von 周长武 – Eigenes Werk, Gemeinfrei, Link