Etappe 2: Xiahe – Songpan

Traditionelle chinesische Hochzeit, wie findet sie statt? Ist es unhöflich mit den Brauteltern über die Kosten der Hochzeit zu verhandeln? Benötige ich Geschenke, wenn ja für wen? Muss jemand von uns eine Tischrede halten? … Anfang März hat Ella hier jede Menge » Fragen zur Hochzeit ihres Sohnes mit einer Chinesin gestellt. Jetzt radelt die Brandenburgerin mit ihrem Mann dem Ereignis in Ürümqi entgegen und lässt uns einen Monat lang an ihrem Abenteuer teilhaben.

Etappe 2: Sōngpan – Halong Naturreservat (beide Provinz Sichuan)

Ella schreibt: Hallöle Catrin, in Xiahe hat man uns mitgeteilt, dass es in Songpan einen amerikanischen Mechaniker mit Bikewerkstatt gibt, der Mrs. Marple (das Fahrrad) in Null Komma gar nichts, wieder richten würde. Leider ohne Namen oder Adresse. Da das Wetter so doof kalt wurde, disponierten wir also um und beschlossen in Richtung Songpan zu fliehen, denn dort waren wir auch noch nie. Wir benutzten dafür ein Fahrrad, einen Bus und ein privates Fahrzeug und es ging ganz reibungslos. In Songpan fuhren wir durchs Nordtor in die Stadt, um uns eine Bleibe zu suchen, als ein Ausländer (man erkennt sich!) Auf uns zu kam und uns befragte, woher, wohin… . Dies war der Amerikaner, dessentwegen wir in Songpan gelandet sind! Er war mit 5 Kindern und Frau auf dem Weg zum Abendessen, brachte uns aber sofort in ein Guesthouse und kehrte gegen 7 Uhr zu uns zurück, um das Rad und uns in seine Werkstatt zu bringen. Dort kümmerten er und mein Mann sich mindestens 2 Stunden hingebungsvoll um Mrs. Marple, bevor sie kapitulierten. Aber wir haben jetzt die Adresse eines Profis in Chengdu! ? und hatten einen netten Abend.

Songpan ist kein sehr großer Ort, aber er hat 4 Stadttore, ein muslimisches Viertel und jede Menge chinesischer Touristen. Einer davon, ein Erasmusstudent, erklärte uns, dass im letzten Jahr ein Erdbeben die Stadt fast vollständig zerstört und es über 30 Tote gegeben hätte. Alles, was nun zu sehen ist, wäre ganz neu aufgebaut. Wir konnten das nicht so ganz glauben, weil die Stadttore, die Mauer und viele Gebäude definitiv alt sind, aber mangels Mr. Google können wir die Auskunft auch nicht widerlegen. Wir hatten einen schönen Tag in Songpan und sind am Schlachthof vorbei, zum Kloster aufgestiegen, wo wir eine ganz private Führung erhielten. Nachmittags saßen wir auf dem Fußgängerbereich herum und ließen das Treiben an uns vorüber ziehen. Das ist sehr interessant, wie die Menge Leute, die lautstark diskutierend vor einer Tafel gestikulieren und den Aushang studieren.

Da unser Weg uns nach Chengdu führen muss, da von dort unser Flieger nach Urumqi zur Hochzeit startet, haben wir beschlossen, keinesfalls den Weg über die schwer frequentierte Hauptstraße zu nehmen, obwohl der Kürzeste, sondern über die Berge auf einer Nebenstrecke zu schleichen. Wir verließen also unser Guesthouse ohne Frühstück am frühen Morgen und fuhren zunächst 17 km bergauf auf der Hauptstraße inmitten des Schwerlastverkehrs. Dann bekamen wir an einer Straßenküche Reis und gebratene Auberginen, natürlich sehr lecker. Die Straßenküchen sind für jeden der sich für Essen interessiert eine Offenbarung. Nie schmeckt es gleich, aber immer super, vorausgesetzt man vergisst die Zauberformel nicht, die da lautet “ bu ja lade“, was soviel heisst wie: ich bin ein Feigling, und für die Leute eindeutig verständlich ist. Es zaubert immer ein Lachen in ihre Gesichter. Der Ausländer mag es also nicht scharf! Vergisst man die Zauberformel, hat man es schwer. Der Mund brennt, die Augen tränen, die Nase läuft. Nach der Straßenküche also, konnten wir endlich in die Berge abbiegen und es ging ganz anständig hoch. Der Verkehr wurde weniger, die Sonne schien und wir waren guter Dinge.

Als wir endlich bei 3300 m angelangt waren, überraschte uns ein Tunnel, der nicht zu umfahren war. Tunnel sind für Radler immer unerquicklich. Man bekommt schlecht Luft und atmet Autoabgase, es ist laut, die Motoren dröhnen, es ist kühl, man sieht schlecht und vor allem wird man schlecht gesehen. Dieser Tunnel ist 7980 m lang und gehört damit zu den längsten, die wir je durchradelt sind. Wider Erwarten ging es ganz gut. Der Tunnel ist neu, das Licht funktionierte noch und die Fahrbahn hatte kaum Löcher, in die man fallen kann. Trotzdem waren wir froh, wieder ans Tageslicht zu kommen, auch, weil es in der ersten Hälfte im Tunnel bergauf ging, was es nochmal schwieriger macht.

Aber daaaannnn, dann kam die Abfahrt! Herrlich! An chinesischen Touristenbussen vorbei, ab ins Tal. Als es anfing zu regnen, landeten wir in einem winzigen Dorf. Kinder holten einen Herrn, der ein Zimmer zu vermieten hatte, von seinem Spieleabend weg und wir hatten wieder mal Glück. Ganz freundliche Leute, die uns gestatteten ihre Waschmaschine zu benutzen, wenn denn abends Strom da wäre. Das Zimmer einfach, aber sauber und man beachte die liebevolle Umrandung der Lichtschalter! Abends führte unser Herbergsvater uns durchs ganze Dorf, um irgendwo etwas zu finden, wo gekocht wurde. Wir bekamen in einem Hinterzimmer Reis und ein Zwiebel-Gurkengemisch und verschwanden, nachdem wir unsere Wäsche aufgehängt hatten, satt und zufrieden im Bettchen mit Wärmedecke.

Morgens regnete es. Wir verzichteten wieder aufs nicht vorhandene Frühstück und machten uns auf den Weg durchs Halong Naturreservat. Ganz famos. Es gibt nur eine Straße, man kann sich nicht verfahren und man ist allein, in einer grandiosen Landschaft. Wir kamen überhaupt nicht voran, weil wir immer anhalten und etwas anschauen mussten. Die Strasse führte 25 km schön bergab! Manchmal schottrig, oder von Wasser überspült, aber doch gut befahrbar. Wir hielten uns so lange im Naturreservat auf, dass wir erst zur Mittagszeit die Ausgangsschranke passierten und gleich im ersten Haus links, nach etwas zu essen fragten. Man machte uns Reis und Rührei mit Tomate, eine Brühe mit Chinakohl und gebratene Streichholzkartoffeln?. Alles lecker.

Danach fuhren wir noch bis in einen kleinen Ort namens Kuroda. Dort bekamen wir ein Zimmerchen bei sehr netten, armen alten Leutchen, welche sehr bemüht und freundlich waren. Die Frau brachte uns ein Beutelchen Walnüsse und ein Holzscheit und legte gleich selbst mit Hand an, weil wir ihr viel zu langsam beim Nüsse knacken waren. Abends wurden wir zur Freude des Dorfes auf der Hauptstraße verköstigt mit gefüllten Teigtaschen in leckerer Brühe. Die Leute sitzen draußen vor ihren Häusern und unterhalten sich. Man ruft sich Sachen zu oder geht zum Nachbarn Privatsphäre gibt es keine. Jeder weiss alles vom anderen. Mein Mann sticht schon aufgrund seiner Körpergrösse von 1,92 m aus der Masse hervor. Ein Gegenstand besonderer Beachtung sind seine Schuhe in Grösse 48. Sie werden besonders gerne in die Hand genommen, anprobiert, es wird gemessen, verglichen und gelacht. Schuhgrösse 48 ist halt auch hier eine Sondergröße.

Den heutigen Tag schließlich verbrachten wir bei vielem Auf und Ab auf der Straße und sind in Nanba. Hier haben wir eine Unterkunft gefunden bei einer Fotografin für Hochzeitspaare. Ich muss eine Lanze brechen für die chinesischen Lasterfahrer. Sie bremsen auch für Ausländer oder umfahren uns weit. Das ist sehr angenehm, im Gegensatz zum chinesischen Autofahrer. Dieser hat niemals Zeit und hält grundsätzlich nicht an. Besonders gerne wird der Ausländer scharf an der Radtasche vorbeischrammend knapp überholt, um dann vor ihm unverzüglich abzubremsen und rechts abzubiegen. Der Blinker ist dabei unwichtig. Wichtig ist allein die Hupe! Vor und nach jeder Kurve und hinter jedem Ausländer! Uns gellen die Ohren und ich habe mich schon manchmal heftig erschreckt, wenn das Konzert hinter mir losgeht. Gehupt wird, um zu sagen, Bahne frei, ich komme und um zu grüßen. Das ist freundlich gemeint, aber nervtötend, wenn hinter einem plötzlich der Laster trötet. Jetzt, nach diesem langen Bericht, lassen wir unsere Tür offen, sie lässt sich nicht schließen und suchen nach einer Straßenküche. Ich bin selbst gespannt, wie es morgen weitergeht.

 

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Nachlese: Nachgeschaut 🙂

 

*1 Erdbeben und definitiv alte Häuser

Bei einem Beben mit Epizentrum bei Chengdu sind Anfang August 2017 bis zu hundert Menschen ums Leben gekommen, tausende wurden verletzt. Im 1.500 Kilometer entfernten Peking schwankten Hochhäuser. Die Stärke gab das chinesische Erdbebenzentrum seinerzeit mit 7 auf der Richterskala an, mehr als 130.000 Häuser könnten beschädigt worden sein. Dabei war die Provinz Sichuan erst 2008 von einem Beben der Stärke 8 erschüttert worden. Mehr als 87.000 Menschen kamen damals ums Leben. Auch die Altstadt von Songpan ist danach saniert worden, wobei wohl schon damals nur ein Teil so alt aussah, wie er tatsächlich war. … Definitiv alt – da habe ich mich schon mehrfach getäuscht. Ganze Innenstädte, gigantische Stadtmauern und Tore der „Ming-Dynastie“ sind in den letzten Jahren funkelnagelneu hochgezogen worden. Denn viele Kulturgüter gab es nach den Jahren der Kulturrevolution nicht mehr. Junge Rotgardisten schleiften auf Befehl Maos, was auf Chinesisch „Si Jiu“ (4 Relikte) heißt: alte Ideen, alte Kultur, alte Sitten und alte Gewohnheiten.

*2 Menschenmenge vor Tafel

Das Provinz-Gericht informiert … mit Fotos und Eckdaten zu Menschen, die das „Vertrauen“ verloren haben und offensichtlich dafür verurteilt worden sind. Warum kann ich auf deinem Foto nicht genau erkennen. Vergleichbares sah ich letztes Jahr beim Fahren mit der U-Bahn in Wuxi. Die dort veröffentlichten Menschen sollen wegen Korruption verurteilt worden sein. Neben Name und Herkunft stand dort auch die Summe neben dem Foto.

Liebe Grüße
Yùnzhi

Quellen:
german.china.org: Große Schäden nach Erdbeben vom 15.08.2017
Tagesspiegel: Mindestens 44 Tote nach Beben und Erdrutsch vom 09.08.2017 (und die meisten anderen deutschen Medien)

Die Tour: Flughafen Xining – Xiahe – Songpin (östlich von Chengdu) | CC0 & Pan-da

2 thoughts on “Etappe 2: Xiahe – Songpan”

  1. Hallöle Bianca, die Grüsse aus Michendorf sind angekommen und im Gepäck verstaut! Wir sind ja immer gerne auf Reisen und China ist eine besondere Herausforderung, weil man die Sprache weder versteht, noch lesen kann und man auch mit Englisch nicht voran kommt. Es geht nur mit Händen und Füssen, aufmalen, fotografieren und zeigen. Man braucht Geduld und Kreativität. Und man erntet immer ein Lachen. Manchmal ist es auch ein Auslachen, wenn den Leuten bewusst wird, dass die Langnase weder Chinesisch versteht, noch lesen oder schreiben kann. Aber das ist nicht böse gemeint, sondern eher Verlegenheit. Wir wursteln uns eben so durch und sind manchmal selbst erstaunt, wie gut die Verständigung klappt! Und die Kultur ist so spannend, dass wir Rückschläge gerne in Kauf nehmen. Ich wünsche dir eine schöne Zeit mit den Mädels und grüsse aus äh China. ? (den genauen Namen des Ortes muss ich erst noch hersusfinden).

  2. Liebste ella,
    Danke für deine lebendigen etappenberichte. Es ist so schön zu hören, wie ihr mit land und leute verschmilzt. Ich warte gespannt wie es weitergeht.
    Gruss aus michendorf

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