„Ein beeindruckendes Buch ist das :)“ Ein Leser hat mir dieser Tage einen Tipp zu einem Buch gegeben, einem Mitte der 90iger Jahre in Deutschland publiziertem Werk. Geschrieben hat es ein chinesischer Autor. „Laß mich wissen, wenn Du es gelesen hast, was Du denkst! Bitte :)“, schreibt mein Leser. Ja dann, Buch besorgt, gelesen und da ist sie, meine Rezension:
„Ach, China … .“ Der letzte Satz könnte der erste sein und auch mittendrin möchte man ihn verzweifelt ausrufen. Das Buch ist kein Roman, eher eine Erzählung, eine Novelle, entstanden beim zufälligen Zusammentreffen zweier Reisender bei einer nächtlichen Bahnfahrt. Einer der Reisenden sind wir, der Zuhörer. Der Unbekannte, der mit einem Riesen-Karton in das Abteil zusteigt, wird der Erzähler sein und wir werden eintauchen in sein Leben zur Zeit der Kulturrevolution Mitte der 1960er Jahre, wir blicken auf Denunzianten mit dem Ziel, den Willen anderer zu brechen, lernen etwas über Malerei und Porzellan, einen zugelaufenen schwarzen Hund und – Poesie.
Dem das alles passiert ist Hua Xiayu, ein Maler, ein erfolgreicher Absolvent der Pekinger Kunsthochschule, der unerwartet in eine Porzellanfabrik in die Provinz (Quanxi; Hebei) abgeschoben wird. Er wundert sich, niemand redet mit ihm zu den Hintergründen und dem Leser beschleicht ein mulmiges Gefühl. Der Künstler begeistert sich unterdessen für das Herstellen und Bemalen des traditionellen Porzellans. Scheinbar banal Beschriebenes zu diesem Handwerk erzeugt beim Leser eine zweite Ebene: „Ein Stück Porzellan ist ein Schicksal – und wer weiß, wem welches bestimmt ist! Auch die besten Fähigkeiten sind hier den Launen des Brennofens unterworfen.“ (S. 38) Vorerst jedoch freundet sich Hua Xiayu mit Schwarzerchen an, einem verwilderten Hund, und verliebt sich in Junjun. Sie heiraten und erwarten ein Kind. Mit der Kulturrevolution bricht das Unheil vollends über ihn herein: auf Wandzeitungen wird er als Rechtsabweichler beschimpft, misshandelt und für zwei Jahre in ein Arbeitslager in einen Steinbruch gebracht, wo der Gefangene wenig später erfährt, dass sich seine Frau von ihm losgesagt und das gemeinsame Kind abgetrieben hat. Wider Erwarten entdeckt er selbst hier Schönes … .
Ein fremdes Land, ein fernes Ereignis (die etwas Jüngeren in meinem Umfeld haben noch nie von der Kulturrevolution gehört), aber eine Geschichte, die keinen Raum für Fremdheit lässt. Das Herz wird einem groß mit diesem Mann, der trotz aller Schicksalsschläge in einer Zeit unfassbarer Unmenschlichkeit, die persönlich motivierte Intrigen gedeihen lässt, an der Liebe zum Leben und zu den Menschen festhält. Dieses Leben dringt einem bis in die Seele, weil Feng Jicai immer wieder scheinbar Banales mit Bedeutung und sprachlicher Schönheit füllt. Neben der Melancholie bleibt die Wärme des Malers, das Ungebrochene, das Versöhnliche: „Ich danke dem Leben für alles, das ich empfangen habe.“ (S. 97) Ach, China, ach Hua Xiayu.
„ … ich habe das Buch vor vielen Jahren gelesen und die Grundhaltung des Malers begleitet mich seitdem als eine unter den möglichen. Manchmal ist das, finde ich sehr wertvoll, solche Vorbilder zu kennen“, schreibt mein Leser. Danke für diese Empfehlung.
Leben! Leben! Leben!
Ein Mann, ein Hund und Mao Zedong
Jicai Feng (Text),
Karin Hasselblatt (deutsche Übersetzung)
Erscheinungsjahr: 1993
Gattung: Belletristik, Roman
Originalsprache: Chinesisch
Seitenzahl: 99
ISBN: 978-3-794-13609-4
Verlag Sauerländer
Deutscher Jugendliteraturpreis 1994
Feng Jicai (*1942), gebürtiger Tianjiner. Feng begann seine Karriere als Maler im Tianjin Calligraphic and Painting Studio. In den 1970er Jahren unterrichtete er an einer Schule für Kunst- und Kunsthandwerker in Tianjin. Nach 1986 engagierte er sich verstärkt in Schriftsteller-Vereinigungen. In jenem Jahr war Feng stellvertretender Vorsitzender der Tianjin Federation of Literary and Arts Circles.
Leben! Leben! Leben!
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