Cheng yu: sich selbst erkennen

Zou Ji aus dem Land Qi war ein schöner Mann. Eines Morgens schaute er frisch zurecht gemacht in den Spiegel und fragte seine Frau: „Wer ist schöner, Herr Xu oder ich?“ Sie antwortete: Natürlich bist du viel ansehnlicher. Wie kann Herr Xu sich mit dir messen.“ Doch Zou Ji wusste um das gute Aussehen des Herrn Xu und fragte deshalb auch seine Zweitfrau: „Wer ist schöner, Herr Xu oder ich?“ Doch auch diese beschwor: „Natürlich du.“ Am selben Tag bekam Zou Ji Besuch und er warf wie nebenbei ein: „Herr Xu ist doch ein sehr attraktiver Mann, nicht wahr?“ Doch der Gast entgegnete: „Wozu so bescheiden, Zou Ji, in Wahrheit seid ihr viel schöner als er.“

Am nächsten Tag kam Herr Xu selbst vorbei und Zou Ji gestand sich ehrlichen Herzens ein: der Andere sieht besser aus als ich. Die ganze Nacht blieb er wach. Misstrauisch grübelte er, wieso alle das Gegenteil behauptet hatten. Doch schließlich erkannte er: meine Frau sagt aus Liebe, ich sei der Schönste, meine Zweitfrau aus Furcht und mein Gast wollte mir schmeicheln. Bloß gut, dachte er erleichtert, dass ich mich selbst so gut kenne und schlief beruhigt ein.

Zì zhī zhī míng

Was steckt dahinter? Ganz klar, das ist ein Cheng yu für Einsteiger. Das übertragene ‚Sich selbst gut kennen‘ ergibt sofort einen nahe liegenden Sinn. Ehrlich zu sein ist schwer. Vor allem zu sich selbst. Dieses Cheng yu für Anfänger ist auch ohne Geschichte zu haben. Doch was wären die vier Zeichen ohne die kleine Erzählung?

自知之明
zì zhī zhī míng
Sich selbst erkennen (idiom)

自 – selbst, selber, persönlich, in eigener Person
知 – wissen
之 – dieser (Attributivpartikel)
明 – sich über etwas im Klaren sein, einsehen

成语 – Cheng yu

… ist eine (meist) in vier Schriftzeichen verdichtete chinesische Lebenserfahrung. Manche Sprichwörter erklären sich von selbst. Leider sind diese in der Minderzahl. Oder was soll man davon halten, wenn einem das chinesische Gegenüber mit „Tigerkopf, Schlangenschwanz“ oder „Kochtöpfe zerschlagen, Boote versenken“ verwirrt? Der Sinn verbirgt sich meist in einer Geschichte, die wiederum, weil ein Ausweis der Bildung, oft nur die Eingeweihten kennen. Also auch Herr P.. Und während unser Jugendlicher zu Hause mit den Augen rollt und „Nö“ ruft, wenn sein Vater zum Cheng yu ausholt, sammle ich ab sofort hier die Weisheiten. Man kann ja nie wissen. 😉

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