„Sehen wir einen Pornofilm?“, fragt mich flüsternd unser chinesischer Freund, nachdem es kaum fünf Minuten nach Filmbeginn das erste Mal ordentlich zur Sache geht. Der angekündigte Kulturschock von „Ciao Ciao“ sollte nach den Ankündigungen der Berlinale ein anderer sein, statt expliziter Sex-Szenen hatten wir uns auf den Kulturschock einer Städterin im ländlichen China eingestellt. Und erst einmal scheint die eigene Vorstellung auch aufzugehen:
Die Handlung
Eine hügelige Landschaft, dazwischen Reisfelder, ein Zug zieht vorbei, dann ein Auto, … Ciao Ciao aus der Megastadt Guangzhou ist in ihr Heimatdorf in der Yunnan-Provinz zurückkehrt. Ein Kurzurlaub bei den Eltern soll es werden. Doch dann kommt alles anders, denn die junge Frau fremdelt nicht nur mit dem Ort, sondern auch mit den Dorfbewohnern, die sich mit illegal gebranntem Mais-Schnaps über Wasser halten. Sie spricht verhalten mit ihrer Mutter und wenig mit dem Vater, der Schlangen fängt, um daraus chinesische Heilmittel herzustellen. Sie wehrt sich gegen das Kaff, schickt von Zeit zu Zeit Sprachnachrichten an ihre Freundin, mit der sie bald einen eigenen Laden eröffnen will.
Doch sie fährt nicht zurück. Stattdessen pendelt sie zwischen zwei jungen Männern hin und her, dem Inhaber eines Friseursalons und dem kriminellen Sohn eines lokalen Schnapsbrenners. Letzteren heiratet sie sogar, forciert von den Eltern, die das Brautgeld brauchen. Doch nur wer aufmerksam schaut, wird die Hochzeit überhaupt bemerken: ein Umschlag wechselt den Besitzer, die Bettwäsche ist rot. Eine Rückkehr nach Guangzhou rückt in immer weitere Ferne und man ahnt beim zunehmenden Verstricken von Ciao Ciao in eine Ménage-à-trois: das kann nicht gut gehen. Dennoch ist das Ende des Films in seiner Willkürlichkeit seltsam. Der eifersüchtige Ehemann bringt Ciao Ciao und ihren Liebhaber um. Alles endet, wie es begann. Eine hügelige Landschaft, dazwischen Reisfelder, ein Zug zieht vorbei, … .
Die Vorstellung ist ausverkauft, das Interesse an der Stadt-Land-Geschichte scheint groß. Doch um mich herum bemerke ich ratloses Schulterzucken. „Um was geht’s hier eigentlich? Muss man dafür einen Film drehen?“ Eine Berlinerin fragt unseren Trupp, ob das typisch China sei. Mein Freund Lin schmunzelt „geraucht, wie im Film, wird in jedem Fall.“ Er kann sich auch das Landleben so vorstellen. Aber ob die Chinesen den Film überhaupt sehen wollen ist offen, orakelt er weiter, was wohl auch daran liegt, dass unser Freund selbst „nur 30 Prozent des Geschehens verstanden“ hat, denn entgegen der Ankündigung der Berlinale läuft der Film keineswegs in Mandarin, sondern im örtlichen Dialekt.
China jagt den Bären
Heute (09.02.) geht sie los, die Jagd nach den Berliner Film-Bären. Mitten im Getümmel steckt auch China. Im bis zum 19.02. dauernden Wettbewerb läuft der Animationsfilm ‚Einen schönen Tag noch‘ sowie Mr. Long. Chinesische Filme sind zudem in verschiedenen Kategorien des Festivals vertreten:
Ciao Ciao
Von Song Chuan
Frankreich / Volksrepublik China 2017, 83 Min
Liang Xueqin (Ciao Ciao)
Zhang Yu (Li Wei)
Hong Chang (Herr Li)
Zhou Lin (Ciao Caios Mutter)
Wang Laowu (Ciao Ciaos Vater)
Zhou Quan (Friseur)
Beiträge im Wettbewerb um den Goldenen Bären:
Einen schönen Tag noch von Liu Jian, VR China
Mr. Long von Sabu, Japan/Hongkong, Taiwan/China/Deutschland
Beiträge der Kategorie Panorama:
Ciao Ciao von Song Chuan, Frankreich / VR China
Ghost in the Mountains von Yang Heng, VR China
Small Talk von Hui-chen Huang, Taiwan
The Taste of Betel Nut von Hu Jia, Hongkong, China
Weitere Filme laufen in den Kategorien ‚Kinder- und Jugendsektion‘, ‚Generation‘ sowie ‚Perspektive Deutsches Kino‘. Den Überblick hat » Johannes Heller von sinonerds.
Vielen Dank für die Verlinkung! Ich bin gespannt auf deinen Eindruck von Ciao Ciao!
Gern. Meine Erkenntnis aus den letzten Jahren Berlinale – China interessiert die Leute.